«Gemeinschaftlichkeit und Individualität müssen in einer guten Balance sein»

Unterschiedliche Interessen zusammenbringen und ausgewogene Lösungen erarbeiten, das gehört zu den Hauptaufgaben eines Rektors. Wie ihn dabei seine Zeit als Professor für Fernerkundung am Geographischen Institut geprägt hat und warum sich die Universität diversifizieren sollte, erzählt Michael Schaepman im Gespräch.

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Michael, seit August 2020 bist du Rektor der Universität Zürich. Wie sieht dein Alltag aus?

Michael Schaepman: Als Rektor bin ich so etwas wie ein «information broker». Ich habe sehr viele Besprechungen, nehme Informationen entgegen, stelle eine Synthese her und bilde mir eine Meinung und stehe so für die Interessen der Universität ein. Umsetzen kann ich es selbst meist nicht. Das machen dann mein Stab oder die entsprechenden Stellen.

Dabei ist der Wechsel von einem Thema ins nächste innerhalb kürzester Zeit sehr anspruchsvoll. Von einem politischen Meeting geht es direkt in ein Interview für die Medien, weiter zu Finanzen, Personalfällen und so fort. Aber diese Breite macht es auch superspannend. Was leider dazukommt: Praktisch alle Meetings finden zurzeit online statt. Ich kann nicht mehr von einem Ort zum anderen gehen. Diese Kleinstpausen dazwischen fallen weg.

Davor warst du Professor am Geographischen Institut. Was nimmst du aus dieser Zeit mit?

Die Fernerkundung ist darauf angewiesen, dass sich die Vielzahl an einer Mission beteiligten Forschenden auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Andererseits ist das Gebiet ausserordentlich stark reguliert. Bis man nach umfangreichen Vorbereitungen der Experimente endlich einen Satelliten ins Weltall schiessen kann, muss quasi jede einzelne Schraube mehrfach zertifiziert sein und die Auswertungsprogramme von allen Beteiligten getragen werden! Ich bin daher sehr vorsichtig, wenn neue Regeln eingeführt werden sollen, die nicht zum Ziel haben, die Kreativität an der Uni zu fördern.

Das gilt aber keineswegs nur für die Forschung, sondern genauso für andere Bereiche. Zur Zeit des Lockdown letzten Frühling haben wir teilweise bewusst unscharfe Entscheide gefällt, damit die UZH-Mitarbeitenden diese selbst interpretieren konnten. Zum Beispiel wie viele Personen weiterhin vor Ort arbeiten sollen. Wir haben auf die Selbstverantwortung gesetzt. Es hat mich beeindruckt, wie gut das funktioniert hat.

Auf der anderen Seite habe ich das Geographische Institut als recht basisdemokratisch organisiert erlebt. Die Mitsprachemöglichkeiten sind wohl ausgeprägter als anderswo. Das hängt bestimmt auch damit zusammen, dass es ein thematisch sehr breit aufgestelltes Institut ist. Dass in Sitzungen Fragen aus der Humangeographie diskutiert wurden, aber genauso welche aus der physischen Geographie und den quantitativen Methoden, war der Alltag. Dadurch habe ich gelernt, verschiedene Kulturen und Arbeitsweisen zu integrieren, aber auch die Verschiedenheit zu respektieren. Gemeinschaftlichkeit und Individualität müssen in einer guten Balance stehen.

Pflanzenvielfalt von Wäldern aus der Luft abbilden: Michael Schaepman und sein Team entwickelten eine Methode, die kürzlich von der NASA als eine der relevanten Metriken zur Vorhersage von Ökosystemprozessen und funktionaler Diversität ausgewählt wurde. (Nat Commun 8, 1441, 2017; Remote Sensing of Environment, 257, 2021)

Davor hast du als Dekan und Prorektor Forschung auch schon die UZH mitgelenkt. Was sind die wichtigsten Unterschiede?

Als Dekan war es meine Aufgabe, strategisch für die Fakultät zu denken und ihre Interessen wahrzunehmen. Und ich wusste, es gibt sechs andere Dekaninnen und Dekane, die dasselbe für ihre Fakultäten tun. Als Prorektor Forschung stand dann das gesamtuniversitäre Interesse im Bereich Forschung im Vordergrund. Ich hatte plötzlich eine horizontale Aufgabe, nicht mehr eine vertikale.

Als Rektor bin ich jetzt für die gesamte Universität verantwortlich. Wir sind als Universitätsleitung zwar ein Kollegialgremium, aber dennoch vertreten alle Mitglieder ihre Verantwortungsbereiche möglichst stark. Meine Aufgabe ist es, ausgewogene Vorschläge aus den verschiedenen Interessen herauszukristallisieren und diese dann mit Integrität und Führungsstärke zu vertreten.

Es gibt doch noch einen weiteren Unterschied: Deine Exposition in der Öffentlichkeit.

Das ist so. Die Medien scheuen sich nicht, dich in jene Position zu manövrieren, in der sie dich sehen möchten. Ein Beispiel ist die Berichterstattung um mein Interview in der «NZZ am Sonntag» von Anfang März: Ich habe dort die Idee lanciert, dass auch Personen ohne Matura an die Uni kommen können. Es hat sehr hohe Wellen geschlagen.

So wurde mir beispielsweise in den Mund gelegt, dass «das Studium», also die akademische Ausbildung, für alle geöffnet werden soll. Doch die Idee besteht darin, dass wir uns die Frage stellen müssen: Wer macht was in der Bildung? Wir an der Universität werden keine Berufsausbildung anbieten, abgesehen von Medizin, Jus und Veterinärmedizin. Was wir anbieten, ist akademische Bildung. Deshalb sind wir auch keine Konkurrenz zu den Fachhochschulen.

Bisher bieten wir in der Weiterbildung meist Pakete an. Man muss ein definiertes Set an Kursen besuchen. Doch viele Leute haben sich in ihrem Berufsleben schon eine Vielzahl von Kompetenzen angeeignet. Ich möchte diskutieren, ob wir höchst personalisierte Kombinationen von Kursen anbieten können, welche an der Uni abgelegt werden können. Und die Fachhochschulen sollten mitmachen! Akademische Bildung und Berufsbildung ergänzen sich sehr gut.

Die Forschung ist deine Leidenschaft. Wirst du sie in Zukunft weiterführen können?

Als Dekan und Prorektor hatte ich eine gewisse «protected time», um noch weiter in der Forschung tätig sein zu können. Als Rektor ist das nicht mehr möglich. Mein Lehrstuhl wird interimistisch von einem Mitarbeiter weitergeführt. Wenn ich dann eines Tages nicht mehr Rektor bin – und auch noch nicht pensioniert, kann ich auf einer ad personam-Professur in die Forschung zurückkehren. Mein bisheriges Ordinariat wird inzwischen neu ausgeschrieben. Ich finde, das ist ein Trade-off, der für alle Seiten gewinnbringend ist.

Was sind die wichtigsten Ziele, die du als Rektor erreichen möchtest?

Dass die Universität Zürich weiterhin als eine Institution anerkannt bleibt, an der Grundlagenforschung in höchster Qualität stattfindet. Und dass wahrgenommen wird, dass sie der Gesellschaft etwas bietet. Ich möchte erreichen, dass die Menschen die Universität Zürich als zugänglich und nahbar erfahren. Denn höchste Forschungsqualität hat nichts damit zu tun, dass wir das im stillen Kämmerlein tun. Und zuletzt, dass wir die Universität Zürich in einem vernünftigen Mass finanzieren können. Auch dafür müssen wir sehr klar vermitteln und nahbar machen, was wir tun und leisten. Kommunikation spielt dabei eine zentrale Rolle.

Mehr über Michael Schaepman

Interview: Magdalena Seebauer