PCB, Drohnen und der emsige Tannenhäher: Eine Exkursion in den Schweizerischen Nationalpark

· by Lars Weidinger, Peppino Müller · in Teaching and studying

Anfang September fand unter der Leitung von Robert Weibel im Rahmen der Lehrveranstaltung GEO 715 eine Exkursion zum Thema «GIS-Einsatz in Schutzgebieten» statt. Wir wanderten durch den Schweizerischen Nationalpark (SNP) und erhielten vielfältige Einblicke in die Forschung und Anwendung von geografischen Informationssystemen im Kontext des Nationalparks.

Nach einer langen Zugreise im Schloss von Zernez angekommen, dem Verwaltungszentrum des Nationalparks, gab uns Samuel Wiesmann, Leiter Geoinformation und ICT, einen kurzen, informativen Einblick in den Nationalpark, seine über 100-jährige Geschichte, und in die Forschungsschwerpunkte. Anschliessend brachen wir mit unseren beiden Begleitpersonen Tamara Estermann und Christian Rossi, beide langjährige SNP-Mitarbeitende in der Abteilung Geoinformation, zur ersten Wanderung ins Spöltal auf.

Der Wald und seine Geschichte

Der Weg führte uns durch einen dichten Fichten-Föhren-Lärchen-Wald. Hier wurde vor der Gründung des Nationalparks Holz geschlagen, um die Öfen für die Verhüttung von Eisenerz zu befeuern. Das gab dem Ofenpass, an dessen Fuss wir wanderten, seinen Namen. Das Holz wurde aber auch exportiert. Dazu wurde das Wasser des Spöl-Flusses gestaut und danach schwallweise abgelassen. So konnten die Baumstämme transportiert werden.

Weiter wurde die Region auch intensiv für die Weidewirtschaft genutzt. Tamara und Christian zeigten uns historische Fotografien, auf denen diese ehemaligen Nutzungen deutlich erkennbar sind. Heute wird durch Refotografie versucht, historische Fotos nachzustellen und so einen Vorher-Nachher-Vergleich zu ermöglichen.

Kurze Wanderpause auf der Spölbrücke mit Input von Christian und Tamara.

Unsere Mittagspause verbrachten wir auf einer von Wald umrandeten Wiese, die früher als Raststätte für das Vieh genutzt wurde. Der Wald erobert die Wiese langsam zurück. Allerdings geschieht das langsamer als aufgrund von natürlichen Sukzessionsmodellen zu erwarten wäre. Der Grund dafür liegt beim starken Druck auf junge Bäume durch Wildverbiss sowie dem äusserst dichten Vegetationswuchs auf der Wiese, der ein Anwachsen von Baumsamen erschwert.

Der Wald erhält auf seinem Rückeroberungszug aber Hilfe von unerwarteter Seite: Der Tannenhäher versteckt im Herbst tausende Arvennüsse, die ihm im Winter als Nahrung dienen. Er frisst aber nicht alle. Ein Teil der Nüsse bleibt im Boden liegen und wächst über die Jahre zu mächtigen Bäumen heran. Der Tannenhäher, auf Romanisch Cratschla genannt, wird so zum Baumeister der Wälder. Er wurde vom Schweizerischen Nationalpark zum Logo-Tier gewählt.

Mittagsrast, links im Bild Christian.

Zwei Umweltdesaster im Spöl in jüngster Vergangenheit

2013 wurde am Staudamm «Lago di Livigno», der oberhalb des Nationalparks liegt, sedimentärer Schlamm, der sich im Verlauf der Jahre dort abgesetzt hatte, in den Fluss freigesetzt. Für das Leben im Spöl hatte das fatale Konsequenzen, da sich der Schlamm im Fluss festsetzte.  Viele Fische und Bachlebewesen verendeten. Durch ein künstliches Hochwasser konnte der Schlamm wieder ausgeschwemmt werden. So konnte das natürliche Ökosystem zumindest teilweise wiederhergestellt werden.

Doch bald darauf, im Herbst 2016, gelangte bei Revisionsarbeiten an den Turbinen des gleichen Staudamms PCB-haltige Korrosionsschutzfarbe in den Spöl. PCB ist ein starkes Umweltgift, das sich in der Nahrungskette anreichern kann. Aktuell werden Pläne ausgearbeitet, um den Spöl zu sanieren. Allerdings erschweren die Schutzbestimmungen des Nationalparks, das schwierige Gelände und Naturgefahren sowie die Eigenheiten der PCB-Kontamination die Arbeiten.

Bei der Planung der Sanierungsarbeiten erweist sich eine Drohnenaufnahme des Spöls als sehr hilfreich. Tamara zeigte uns in der mobile-App «Esri Field Maps», wie sie Messpunkte der PCB-Kontamination einfach und punktgenau auf dem von einer Drohne generierten Orthophoto lokalisieren und eintragen kann. Der Einsatz von Drohnen im Nationalpark bringt aber einige Herausforderungen mit sich. Besuchende können sich durch Drohnenflüge gestört fühlen und potenzielle Auswirkungen auf die Tierwelt sind noch nicht genau erforscht.

Der doch nicht so unberührte Spöl.

Im Hotel in Zernez angekommen, bezogen wir unsere Zimmer. Nach einem Apero mit lokalen Spezialitäten (Calanda Glatsch) begaben wir uns zum währschaften 4-Gang Abendessen, dem eigentlichen Highlight der Exkursion, wie einige Teilnehmende behaupten würden. Nach einigen Partien am «Töggelichaste» ging es dann für uns in die Heia.

Früher Vogel fängt den Wurm

Der zweite Tag unserer Exkursion begann schon um 06:40 Uhr. Das mag für die Pendelnden unter euch Alltag sein, aber für Geo-Studierende in den Ferien grenzt das schon fast an Tortur. Das reichhaltige Vital-Frühstück erleichterte den Start in den Tag aber enorm.

Reichhaltiges Vitalfrühstück mit Reservation für Gruppe «Schule».

Nachdem wir unsere sieben Sachen wieder eingepackt hatten, erwartete uns ein Shuttleservice, der uns einige hundert Höhenmeter Richtung Macun hochtransportierte.

Aufstieg mit Blick auf Zernez im Sonnenaufgang.
Der Aufstieg geht weiter…

Reiche Vegetation, glitzernde Seen und ein Drache

Wir schulterten unsere Rucksäcke und machten uns auf den Weg in Richtung Macun-Seenplatte. Das Ausgangsgestein dieses nördlichen Teils des Nationalparks ist Amphibolit und Gneiss, wodurch eine «reichere» Vegetation als am Vortag (Ausgangsgestein Dolomit) dominierte. Daraus wird zum Beispiel der Kräuterlikör Iva hergestellt, den die rund 1’600 Bewohner*innen von Zernez wohl in rund 1’600 Variationen produzieren. Selber pflücken war hier sogar erlaubt, da wir uns noch nicht in der Kernzone des Parks befanden.

… und weiter durch Lawinenverbauungen.
Wir geniessen die Aussicht
auf die Südtiroler Berge und das Spöltal.

Als wir die höchste Krete unserer Wanderung erreicht hatten, breitete sich die Macun-Platte mit ihren 26 Seen zu unseren Füssen aus. In einem der grösseren Seen gibt es laut der Engadiner Mythologie sogar einen Drachen, der einen Schatz bewacht. Er wurde aber noch nie gesichtet, anders als die Fische, die dort leben.

Wir genossen unsere Mittagspause inklusive Mittagsschläfchen an den in der Sonne glitzernden Seen. Gestärkt und ausgeruht machten wir uns an den Abstieg nach Lavin, wo wir unser Gepäck wieder entgegennahmen, uns schmerzlich von unseren Begleitpersonen verabschiedeten und in den Zug zurück nach Zürich stiegen.

Die Macun-Platte mit ihren Seen, rechts Blockgletscher und Gletschersee.
Das obligate Gruppenfoto.
Steiler Abstieg über Schutt und Geröll.

Ein herzliches «Danke» an Röbi, Christian, Tamara, Sämi und all den anderen, die diese grossartige Exkursion in eines der schönsten Gebiete der Schweiz ermöglicht haben. Dank diversen Inputs konnten wir mehrere praktische Anwendungen von GIS in Schutzgebieten hautnah miterleben. So wie der Tannenhäher seine Nüsse sät, hat Röbi durch diese Exkursion einige neue Interessen der Studierenden zum Keimen gebracht. Der Tannenhäher war übrigens auch das einzige interessante Tier, das wir in den zwei Tagen (mehrfach) gesehen haben. Doch wer will schon Steinböcke sehen, wenn man stattdessen GIS hat?

Text und Bilder: Lars Weidinger & Peppino Müller

4 Reaktionen

  1. Javier Feller ·

    Sehr spannender, lehrreicher und mit Akribie verfasster Beitrag über die GIS- Exkursion im Nationalpark. Hoffentlich nehmen viele weitere Studierende diese einmalige Chance wahr!

    Reply

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert